Warum die evangelische Kirche Godspot nicht braucht

Ein Artikel von Prof. Werner Thiede
In einem Offenen Brief an den Bischof Dr. Markus Dröge (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg) fordert die Umwelt- und Verbraucherorganisation diagnose:funk, Pläne fallen zu lassen, über 3.000 Kirchen mit WLAN HotSpots auszustatten. Die evangelische Kirche hatte daraufhin neun Thesen veröffentlicht, zu denen der Theologieprofessor Werner Thiede den folgenden Artikel verfasst hat.
Prof. Dr. Werner ThiedeFoto: privat

In der Leitung der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO) weiß man um die Ambivalenzen der digitalen Revolution: Deren Fortschritt müsse ethisch begleitet und kontrolliert werden, heißt es in der ersten ihrer neun Thesen zu „Godspot“.

Das klingt gut. Doch nichts hiervon ist zu spüren, wenn es später im Text heißt: „Solange die Normungs-, Zulassungs- und Überwachungsinstitute in Deutschland den Betrieb von WLAN nicht verbieten oder deren nur eingeschränkte Verwendung empfehlen, wird sich die Kirche der Meinung dieser Überwachungsinstitute anschließen können.“ Damit werden sämtliche kritischen Hinweise auf die Problematik des Zustandekommens der Beurteilungen durch so manche Institute ignoriert, wie sie nicht zuletzt in meinem Buch „Mythos Mobilfunk“ benannt ist. Und es werden faktisch sämtliche kritischen Studien unberücksichtigt gelassen, denen zufolge WLAN biologisch bedenkliche Wirkungen hat. Man kann selbstverständlich immer auch auf entwarnende Studien und Auskünfte hinweisen. Aber unter ethischen Gesichtspunkten darf man nicht so tun, als gäbe es in dieser Hinsicht keinerlei Konflikte. Vielmehr gilt im Falle widersprüchlicher Auskünfte und Prognosen ethisch das sogenannte Vorsorgeprinzip, das zu entsprechend vorsichtiger und abwägender Haltung verpflichtet. Deshalb empfiehlt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) generell, die persönliche Strahlenbelastung zu minimieren, um mögliche, aber bisher nicht erkannte gesundheitliche Risiken gering zu halten. Und es rät ausdrücklich: „Vermeiden Sie die Aufstellung von zentralen WLAN-Zugangspunkten in unmittelbarer Nähe der Orte, an denen sich Personen stän­dig aufhalten…“ Sollten also gerade Kirchen mit WLAN nicht sehr zurückhaltend hantieren?

"Kirche für andere" und Minderheitenschutz -
dem digitalen Hype geopfert?

Aus der bereits angesprochenen siebten These geht hervor, dass die Berliner Kirchenleitung sehr wohl um das Problem elektrosensibler Menschen, Tiere und Pflanzen weiß. Unrichtig ist dabei aber die pauschale Formulierung, Ärzte hätten kein Interesse daran, dergleichen offenzulegen. In Wahrheit gibt es beispielsweise die in etlichen Auflagen verbreitete Broschüre „Dokumentierte Gesundheits­schäden unter dem Einfluss hochfrequenter elektromagnetischer Felder“, die von der Ärztin Cornelia Waldmann-Selsam herausgegeben wurde und zahlreiche Schicksale elektrosensibler Mitmenschen aufführt. Von dieser engagierten Medizinerin liegen obendrein ausführliche, sehr beeindruckende Studien hinsichtlich der Erzeugung von Baumschäden durch Mobilfunk-Sender vor. Dem Krebsforscher Prof. Dominique Belpomme zufolge sind überhaupt sämtliche Lebewesen elektrosensibel: Genau wie Vögel und Bienen reagiere auch der Mensch auf elektromagnetische Felder. Als Vorsitzender der französischen Vereinigung für Krebstherapieforschung bemerkt Belpomme in einem Arte-Interview: „Derzeit leugnen die Politiker das Problem völlig. Gesundheitlich zahlen wir dafür einen hohen Preis… Wir müssen vor allem an unsere Kinder denken und uns bewusstwerden, dass moderne Technologien zwar praktisch, aber auch gefährlich sind.“ Leider leugnen nicht zuletzt Kirchen das Problem der Elektrosensibilität großenteils immer noch; sonst wären nicht so viele Kirchtürme mit Mobilfunkmasten bestückt! Allzu bereitwillig hören sie auf die interessengeleitete Unterstellung, Betroffene seien doch lediglich psychisch krank; und bislang ignorieren sie weithin die einschlägigen Hinweise aus Medizin und Forschung, die biologische Auswirkungen von Funkstrahlung belegen. Kennen die Godspot-Macher im Übrigen den Internationalen Ärzte-Appell von 2012 nicht? Nach Dietrich Bonhoeffer ist christliche Kirche wesentlich „Kirche für andere“. Wie kann die EKBO ein Technik-Projekt vorantreiben, das – wie die siebte These erkennen lässt – anstelle von Empathie und sorgfältigem Hinsehen von einer unethischen, weil ebenso ignoranten wie unbarmherzigen Haltung zeugt?

Durch mehrere der neun Thesen hindurch wiederholt sich das Argument, „Godspot“ versetze die Kirche in die Lage, Kontakt mit denjenigen aufzunehmen, die schon der digitalen Revolution anheimgefallen, ja vielleicht sogar süchtig geworden seien und den Kontakt zur analogen Kirche verloren hätten. Doch das überzeugt keineswegs. Denn solche Kontaktsuche erfolgt logischerweise kaum über WLAN-Hotspots an Kirchengebäuden, also an analogen Orten des Heiligen. Vielmehr würde es dafür genügen, im Internet selbst entsprechende kirchliche Anlaufstellen und Angebote zu betreiben.

"Sichere digitale Heimstatt" - ein Selbstbetrug

Kopfschütteln evoziert sodann die Behauptung zur dritten These, mit freiem WLAN an Kirchengebäuden oder auf Kirchtürmen würden Nutzende jener Mühe entledigt, die sie sich andernorts bezüglich der Sicherheit ihrer Daten machen müssten. Denn gerade wenn Fabian Kraetschmer, der IT-Leiter im Konsistorium der EKBO, mit Stolz formuliert: „Wir schicken uns an, der größte Anbieter von offenem WLAN in Deutschland zu werden“, so geht ja daraus das Bewusstsein hervor, dass es sehr wohl auch andere solche Anbieter gibt. Ganze Regionen sollen leider, wie man öffentlich nachlesen kann, mit freiem WLAN überzogen werden – dafür braucht es also wahrlich kein freies WLAN vom Kirchturm, das ein Teil der Gemeindeglieder ohnehin eher als Fluch denn als Segen empfinden würde!

Dass Kirche mit „Godspot“ eine „sichere digitale Heimstatt“ (sechste These) schaffen wolle, ist leider nicht glaubwürdig, und zwar aus zwei Gründen: Erstens gibt es im Internet keine wirkliche Sicherheit; dass es da um ein ständiges Ringen mit dem Hackerproblem und sonstigen Störanfällen geht, ist Allgemeinwissen – auch Kirche kann auf diesem Gebiet keine Wunder tun. Und zweitens ist eine Heimstatt keineswegs „sicher“ zu nennen, die möglicherweise gesundheitliche Probleme erzeugt.

Immer wieder fällt im Zuge der neun Thesen das Wort „Evangelium“. Warum machen sich die Verantwortlichen für „Godspot“ nicht ernsthaftere Gedanken darüber, dass ihr Projekt von einem Teil der Kirchenmitglieder keineswegs als „frohe Botschaft“ verstanden wird, sondern Kopfschütteln, Spott oder gar Entsetzen hervorruft? Laufen sie nicht eher Gefahr, das Evangelium von Jesus Christus mit ihrer strahlenden „Zwangsbeglückung“ im Umkreis von Kir­chengebäuden zu verdunkeln? Dieses EKBO-Projekt mit seinem noch dazu blasphemisch anmutenden Namen sollte schleunigst storniert und entsprechende Gelder für kirchlich passendere Aufgaben verwendet werden.

Publikation zum Thema

12. Februar 2015Format: 14,9 x 1,7 x 21,1Seitenanzahl: 238 Veröffentlicht am: 12.02.2015 ISBN-10: 3865817270ISBN-13: 978-3865817273

Digitaler Turmbau zu Babel

Der Technikwahn und seine Folgen
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Inhalt:
Unsere Gesellschaft hat im Zeichen der digitalen Revolution einen riskanten Weg eingeschlagen. Begeistert von den geradezu magisch anmutenden Chancen und Möglichkeiten des Digitalen meinen viele, die damit verbundenen Risiken verrechnen, kleinreden oder gar in Abrede stellen zu können. Prof. Werner Thiede plädiert indessen für eine ganzheitliche Wahrnehmung der Risiken des vorherrschenden Technizismus. Er macht deutlich, dass es bei der digitalen Revolution nicht nur um technische, sondern auch um kulturelle Veränderungen geht, deren Folgen zum Teil gravierende ethische Fragen aufwerfen. Trägt das globale Programm totaler Vernetzung Potentiale des Totalitären in sich? Thiede beschließt das Buch mit 95 Thesen, die zu einem Umdenken in Gesellschaft und Kirche auffordern.
2., aktualisierte Auflage, veröffentlicht 2014Format: 14,4 x 2 x 21,1 cmSeitenanzahl: 258 Veröffentlicht am: 30.10.2013 ISBN-10: 3643124015ISBN-13: 978-3643124012Sprache: Deutsch

Die digitalisierte Freiheit

Morgenröte einer technokratischen Ersatzreligion
Autor:
Prof. Dr. Werner Thiede
Inhalt:
Aus einer Besprechung in der Zeitschrift 'Umwelt-Medizin-Gesellschaft': "Thiede beschreibt eindringlich vier Freiheitsfallen, nämlich die politische, die ökologische, die lebenspraktische und die spirituelle Freiheitsfalle. Der Autor macht deutlich, dass es sich beim Internet der Dinge nicht um die ferne Zukunft handelt, sondern um die nächsten zehn Jahre. Umso leidenschaftlicher sein Appell zum ‚lebenspraktischen‘ Widerstand: ‚Dem zunehmenden Digitalisierungsdruck mutigen Freiheitswillen entgegenzustellen, statt freiheitsgewohnter Bequemlichkeit alle Wachsamkeit und Achtsamkeit zu opfern, ist heute erste Bürgerpflicht."
04.10.2012Format: 14,9 x 2 x 21,1 cm Seitenanzahl: 302 Veröffentlicht am: 04.10.2012 ISBN-10: 3865814042ISBN-13: 978-3865814043Sprache: Deutsch

Mythos Mobilfunk

Kritik der strahlenden Vernunft
Autor:
Prof. Dr. Werner Thiede
Inhalt:
In der Auseinandersetzung mit der zunehmenden Luftverschmutzung unserer Lebenswelt durch elektromagnetische Felder markiert die perspektivenreiche Publikation einen neuen Meilenstein. Sie zeigt die trügerische Faszination, die von den Funk-Techniken ausgeht, aber auch das Maß an verdeckter Lüge und Gewalt, das sie in die Gesellschaft eingeführt haben und immer mehr Menschen zumuten – auf Kosten ihrer Gesundheit und Lebensqualität. Der erkennbaren Korrumpierbarkeit der menschlichen Vernunft und der Ethik-Vergessenheit von Politik und Industrie stellt Thiede eine theologisch und philosophisch fundierte Enttabuisierung des ‚Mythos’ entgegen, die der menschlichen Vernunft ihre Möglichkeiten und Rechte zurückgeben möchte.
Artikel veröffentlicht:
12.09.2016
Autor:
Prof. Werner Thiede

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