In der Leitung der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO) weiß man um die Ambivalenzen der digitalen Revolution: Deren Fortschritt müsse ethisch begleitet und kontrolliert werden, heißt es in der ersten ihrer neun Thesen zu „Godspot“.
Das klingt gut. Doch nichts hiervon ist zu spüren, wenn es später im Text heißt: „Solange die Normungs-, Zulassungs- und Überwachungsinstitute in Deutschland den Betrieb von WLAN nicht verbieten oder deren nur eingeschränkte Verwendung empfehlen, wird sich die Kirche der Meinung dieser Überwachungsinstitute anschließen können.“ Damit werden sämtliche kritischen Hinweise auf die Problematik des Zustandekommens der Beurteilungen durch so manche Institute ignoriert, wie sie nicht zuletzt in meinem Buch „Mythos Mobilfunk“ benannt ist. Und es werden faktisch sämtliche kritischen Studien unberücksichtigt gelassen, denen zufolge WLAN biologisch bedenkliche Wirkungen hat. Man kann selbstverständlich immer auch auf entwarnende Studien und Auskünfte hinweisen. Aber unter ethischen Gesichtspunkten darf man nicht so tun, als gäbe es in dieser Hinsicht keinerlei Konflikte. Vielmehr gilt im Falle widersprüchlicher Auskünfte und Prognosen ethisch das sogenannte Vorsorgeprinzip, das zu entsprechend vorsichtiger und abwägender Haltung verpflichtet. Deshalb empfiehlt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) generell, die persönliche Strahlenbelastung zu minimieren, um mögliche, aber bisher nicht erkannte gesundheitliche Risiken gering zu halten. Und es rät ausdrücklich: „Vermeiden Sie die Aufstellung von zentralen WLAN-Zugangspunkten in unmittelbarer Nähe der Orte, an denen sich Personen ständig aufhalten…“ Sollten also gerade Kirchen mit WLAN nicht sehr zurückhaltend hantieren?
"Kirche für andere" und Minderheitenschutz -
dem digitalen Hype geopfert?
Aus der bereits angesprochenen siebten These geht hervor, dass die Berliner Kirchenleitung sehr wohl um das Problem elektrosensibler Menschen, Tiere und Pflanzen weiß. Unrichtig ist dabei aber die pauschale Formulierung, Ärzte hätten kein Interesse daran, dergleichen offenzulegen. In Wahrheit gibt es beispielsweise die in etlichen Auflagen verbreitete Broschüre „Dokumentierte Gesundheitsschäden unter dem Einfluss hochfrequenter elektromagnetischer Felder“, die von der Ärztin Cornelia Waldmann-Selsam herausgegeben wurde und zahlreiche Schicksale elektrosensibler Mitmenschen aufführt. Von dieser engagierten Medizinerin liegen obendrein ausführliche, sehr beeindruckende Studien hinsichtlich der Erzeugung von Baumschäden durch Mobilfunk-Sender vor. Dem Krebsforscher Prof. Dominique Belpomme zufolge sind überhaupt sämtliche Lebewesen elektrosensibel: Genau wie Vögel und Bienen reagiere auch der Mensch auf elektromagnetische Felder. Als Vorsitzender der französischen Vereinigung für Krebstherapieforschung bemerkt Belpomme in einem Arte-Interview: „Derzeit leugnen die Politiker das Problem völlig. Gesundheitlich zahlen wir dafür einen hohen Preis… Wir müssen vor allem an unsere Kinder denken und uns bewusstwerden, dass moderne Technologien zwar praktisch, aber auch gefährlich sind.“ Leider leugnen nicht zuletzt Kirchen das Problem der Elektrosensibilität großenteils immer noch; sonst wären nicht so viele Kirchtürme mit Mobilfunkmasten bestückt! Allzu bereitwillig hören sie auf die interessengeleitete Unterstellung, Betroffene seien doch lediglich psychisch krank; und bislang ignorieren sie weithin die einschlägigen Hinweise aus Medizin und Forschung, die biologische Auswirkungen von Funkstrahlung belegen. Kennen die Godspot-Macher im Übrigen den Internationalen Ärzte-Appell von 2012 nicht? Nach Dietrich Bonhoeffer ist christliche Kirche wesentlich „Kirche für andere“. Wie kann die EKBO ein Technik-Projekt vorantreiben, das – wie die siebte These erkennen lässt – anstelle von Empathie und sorgfältigem Hinsehen von einer unethischen, weil ebenso ignoranten wie unbarmherzigen Haltung zeugt?
Durch mehrere der neun Thesen hindurch wiederholt sich das Argument, „Godspot“ versetze die Kirche in die Lage, Kontakt mit denjenigen aufzunehmen, die schon der digitalen Revolution anheimgefallen, ja vielleicht sogar süchtig geworden seien und den Kontakt zur analogen Kirche verloren hätten. Doch das überzeugt keineswegs. Denn solche Kontaktsuche erfolgt logischerweise kaum über WLAN-Hotspots an Kirchengebäuden, also an analogen Orten des Heiligen. Vielmehr würde es dafür genügen, im Internet selbst entsprechende kirchliche Anlaufstellen und Angebote zu betreiben.
"Sichere digitale Heimstatt" - ein Selbstbetrug
Kopfschütteln evoziert sodann die Behauptung zur dritten These, mit freiem WLAN an Kirchengebäuden oder auf Kirchtürmen würden Nutzende jener Mühe entledigt, die sie sich andernorts bezüglich der Sicherheit ihrer Daten machen müssten. Denn gerade wenn Fabian Kraetschmer, der IT-Leiter im Konsistorium der EKBO, mit Stolz formuliert: „Wir schicken uns an, der größte Anbieter von offenem WLAN in Deutschland zu werden“, so geht ja daraus das Bewusstsein hervor, dass es sehr wohl auch andere solche Anbieter gibt. Ganze Regionen sollen leider, wie man öffentlich nachlesen kann, mit freiem WLAN überzogen werden – dafür braucht es also wahrlich kein freies WLAN vom Kirchturm, das ein Teil der Gemeindeglieder ohnehin eher als Fluch denn als Segen empfinden würde!
Dass Kirche mit „Godspot“ eine „sichere digitale Heimstatt“ (sechste These) schaffen wolle, ist leider nicht glaubwürdig, und zwar aus zwei Gründen: Erstens gibt es im Internet keine wirkliche Sicherheit; dass es da um ein ständiges Ringen mit dem Hackerproblem und sonstigen Störanfällen geht, ist Allgemeinwissen – auch Kirche kann auf diesem Gebiet keine Wunder tun. Und zweitens ist eine Heimstatt keineswegs „sicher“ zu nennen, die möglicherweise gesundheitliche Probleme erzeugt.
Immer wieder fällt im Zuge der neun Thesen das Wort „Evangelium“. Warum machen sich die Verantwortlichen für „Godspot“ nicht ernsthaftere Gedanken darüber, dass ihr Projekt von einem Teil der Kirchenmitglieder keineswegs als „frohe Botschaft“ verstanden wird, sondern Kopfschütteln, Spott oder gar Entsetzen hervorruft? Laufen sie nicht eher Gefahr, das Evangelium von Jesus Christus mit ihrer strahlenden „Zwangsbeglückung“ im Umkreis von Kirchengebäuden zu verdunkeln? Dieses EKBO-Projekt mit seinem noch dazu blasphemisch anmutenden Namen sollte schleunigst storniert und entsprechende Gelder für kirchlich passendere Aufgaben verwendet werden.