Versorgung/Bestrahlung ohne Auftrag und Gesetz

Artikel in 'Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht'
Bernd Irmfrid Budzinski, ehemaliger Richter am Verwaltungsgericht, dokumentiert in einem Artikel in der Fachzeitschrift 'Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ' die fehlende "lex Mobilfunk".

I. Einleitung

Das Menschenrecht auf Achtung der Wohnung (Art. 8 I EMRK) gilt auch gegenüber den Immissionen des Mobilfunks - entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2007. Die planmäßige und durchdringende Bestrahlung der Innenräume aller Wohnungen bedarf deshalb der gesetzlichen Rechtfertigung (Art. 8 I EMRK). Doch kein Gesetz erlaubt sie. Denn die sogenannte Indoor-Versorgung ins Innere von Wohnungen, um auch dort Mobilfunkempfang zu ermöglichen, war nicht geplant, berichten die Pioniere des Mobilfunks. Diese stillschweigende Ausweitung des Versorgungskonzepts eröffnete abweichend von der ursprünglich nur im Freien erwarteten Strahlenbelastung nun pausenlos - so auch zu Hause und des Nachts - die „unkontrollierte Exposition der Bevölkerung“. Dafür fehle die „allgemeine Rechtsgrundlage“ bzw. der gesetzliche „Entscheidungsrahmen der Legislative“, meinten das Bundesamt für Strahlenschutz und die Strahlenschutzkommission 2006. Ungeachtet dessen und der hinzukommenden Mahnung des Leiters des Ausschusses für nicht-ionisierende Strahlung der Strahlenschutzkommission 2007, wenigstens nicht ohne Tests zu den biologischen Auswirkungen ständig neue Funktechnologien einzuführen, wird das neue LTE-Netz nunmehr sofort flächendeckend und ohne diese Prüfung mit einer noch stärkeren Durchdringung der Häuser "bis in den Keller" aufgebaut; kommen neue Anwendungen (z.B. das funkgestützte Smart Meter) hinzu, die diese Intensität voraussetzen. Die überfällige rechtliche Prüfung zeigt, dass der Mobilfunkbetrieb insoweit tatsächlich ohne ausreichende rechtliche Grundlage stattfindet.

III. Zusammenfassung und Ausblick

1. Der gegenwärtige Mobilfunkbetrieb erfolgt mit der sog. Indoor-Versorgung schon wegen Art. 8 I EMRK ohne (ausreichende) Rechtsgrundlage, weil tatbestandlich ein bislang ungeregelter Eingriff in das Menschenrecht auf Achtung der Wohnung vorliegt (EGMR).

2. Allein diese Art der Versorgung führt zu einer 24-Stunden-Belastung mit Langzeitwirkung für die gesamte Bevölkerung. Das stellt wegen der nachweislichen Beeinflussung von Gehirn und Nerven sowie der nunmehrigen Krebswarnung der WHO (IARC) kein „vernachlässigbares Restrisiko“ dar, so dass Vermeidung geboten und Vorsorge „unabweisbar“ (BfS) ist.

3. Eine vorsorgliche Vermeidung und Minimierung dieser Exposition lässt sich weitgehend und ohne unzumutbare Einschränkung des Mobilfunkverkehrs durch eine eigene Innenraumversorgung des jeweiligen Nutzers mit den Mobilfunknetzen herbeiführen, sodass eine planmäßige und erzwungene Einstrahlung von Funknetzen durch die Hauswände von außen nach Art. 8 II EMRK nicht zu rechtfertigen ist, selbst wenn das Risiko gering wäre.

4. Die Gemeinden haben zum Schutz der Einwohner das Recht (Art. 28 II GG; § 6 26. BImSchV), die Indoor-Versorgung in Wohngebieten mit einem planerischen Mobilfunkkonzept auf diese Selbstversorgung zu beschränken und den dort einwirkenden Funkversorgungspegel so festzulegen, wie es für die Versorgung des betreffenden Gebiets im Freien ausreichen würde. Auch das neue digitale Fernseh- und Radionetz ist vorsorglich ohne Indoor-Versorgung zu betreiben.

5. Dem Wohnungsinhaber muss wegen Art. 8 I EMRK zumindest in einem Wohngebiet ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch zugebilligt werden, die allein zum Zwecke der Indoor-Versorgung hoch geregelte “Durchstrahlung” seiner Wohnung grundsätzlich zu unterbinden bzw. die Erteilung einer darauf hinauslaufenden Standortbescheinigung entsprechend zu modifizieren.

6. Das Smart-Meter-Mess-System ist vorrangig mit Kabelanschluss zu planen, d.h. umweltfreundlich und ohne Zweckentfremdung der knappen Ressourcen der mobilen Kommunikation für stationäre Nutzung. Der Anschlusszwang nach § 21i Abs. 4 des Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften v. 6.6.2011 wäre zudem rechtswidrig, wenn er mit der zwangsweisen Installation eines Funksenders im eigenen Haus verbunden werden sollte.

7. Die erst noch durch Gesetz zu treffende Entscheidung über die Zulassung der Indoor-Versorgung liegt nicht überall im “weiten Entscheidungsermessen” des Staates. Grundsätzlich ist zwischen Immissionen, die im öffentlich zugänglichen Raum zugemutet werden, und solchen, die auch in die eigene Wohnung oder wohnungsgleiche Einrichtungen eindringen (sollen), zu unterscheiden. Die Wohnung bietet gegenüber allen Störungen und auch Immissionen einen natürlichen Rückzugsraum, der grundrechtlich anerkannt und gesichert ist (Art. 8 I EMRK; Art. 13 GG). Das muss erst recht gegenüber nunmehr von der WHO ausdrücklich als potenziell kanzerogen eingestuften Strahlungen gelten.

Publikation zum Thema

Bild: diagnose:funk
Format: A4Seitenanzahl: 16 Veröffentlicht am: 27.11.2011 Sprache: DeutschHerausgeber: 'Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ -', Heft 19, 2011, S. 1165, Verlag C. H. Beck

Von der Versorgung ohne Auftrag zur Bestrahlung ohne Gesetz

Warten auf die "lex Mobilfunk"
Autor:
Bernd Irmfrid Budzinski, Richter am VG a. D.
Inhalt:
Das Menschenrecht auf Achtung der Wohnung (Art. 8 I EMRK) gilt auch gegenüber den Immissionen des Mobilfunks - entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2007. Die planmäßige und durchdringende Bestrahlung der Innenräume aller Wohnungen bedarf deshalb der gesetzlichen Rechtfertigung (Art. 8 I EMRK). Doch kein Gesetz erlaubt sie. Denn die sogenannte Indoor-Versorgung ins Innere von Wohnungen, um auch dort Mobilfunkempfang zu ermöglichen, war nicht geplant, berichten die Pioniere des Mobilfunks. Diese stillschweigende Ausweitung des Versorgungskonzepts eröffnete abweichend von der ursprünglich nur im Freien erwarteten Strahlenbelastung nun pausenlos - so auch zu Hause und des Nachts - die „unkontrollierte Exposition der Bevölkerung“. Dafür fehle die „allgemeine Rechtsgrundlage“ bzw. der gesetzliche „Entscheidungsrahmen der Legislative“, meinten das Bundesamt für Strahlenschutz und die Strahlenschutzkommission 2006. Ungeachtet dessen und der hinzukommenden Mahnung des Leiters des Ausschusses für nicht-ionisierende Strahlung der Strahlenschutzkommission 2007, wenigstens nicht ohne Tests zu den biologischen Auswirkungen ständig neue Funktechnologien einzuführen, wird das neue LTE-Netz nunmehr sofort flächendeckend und ohne diese Prüfung mit einer noch stärkeren Durchdringung der Häuser "bis in den Keller" aufgebaut; kommen neue Anwendungen (z.B. das funkgestützte Smart Meter) hinzu, die diese Intensität voraussetzen. Die überfällige rechtliche Prüfung zeigt, dass der Mobilfunkbetrieb insoweit tatsächlich ohne ausreichende rechtliche Grundlage stattfindet.
Artikel veröffentlicht:
27.11.2011
Autor:
Bernd Irmfrid Budzinski, Richter am VG a. D.
Quelle:
'Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ -', Heft 19, 2011, S. 1165, Verlag C. H. Beck

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