Genehmigungsfreiheit von Mobilfunkmasten? Abzulehnen!

„Man muss achtgeben, dass hier nicht eigentlich ein ‚Demokratieabbau‘ forciert wird.“
Telefónica-Chef Markus Haas fordert die Freistellung des Aufbaus der Mobilfunkinfrastruktur von gesetzlichen Regelungen. Wir fragten Rechtsanwalt Dr. Wolf Herkner, der einen Schwerpunkt Verwaltungsrecht und dort das Bauordnungs- und Planungsrecht sowie den Immissionsschutz hat, nach seiner Einschätzung zu dieser Forderung.
RA Dr. Wolf HerknerFoto: privat

diagnose:funk: Was war Ihr erster Eindruck, als Sie diese Forderung von Herr Haas gelesen haben?

RA Dr. Herkner: Sie meinen die sog. Genehmigungsfiktion? Das soll dann wohl ein Bauen ohne Baugenehmigung sein, die man ggf. nachholen soll. Also: eine zumindest vorläufige Verfahrensfreiheit gegenüber der Bauaufsichtsbehörde. Daran sieht man, dass der Vergleich mit dem „Vorbild“ Tesla hinkt. Dort hatte das OVG Berlin-Brandenburg im Juli 2021 einen Beschluss zur Zulassung des vorzeitigen Beginns nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz gefasst. Das ist ein ganz anderes Thema. 



diagnose:funk: Baurecht ist doch Ländersache. Kann der Bund solch weitreichende Verfahrensänderungen überhaupt beschließen und vorgeben? 

RA Dr. Herkner: Der Bund hat mit dem sog. Baulandmobilisierungsgesetz gerade noch in der letzten Legislaturperiode, teils auch bzgl. Mobilfunk, gewisse Änderung des Bauplanungsrechts vorgenommen. Hier geht es um die bauliche Nutzbarkeit von Grund und Boden.

Das Bauordnungsrecht – welches regelt, wie im Einzelnen gebaut werden darf – ist dagegen Ländersache, ja. Dazu zählt vor allem die Frage, wann eine Baugenehmigungspflicht besteht. Bei Mobilfunkmasten wird das an der Höhe festgemacht. Eine Genehmigungsfiktion kann es geben, allerdings vornehmlich nur, um Wohnraum zu schaffen, dem man auf Betreiberseite den Mobilfunk wohl gleichstellen will.

Allerdings muss auch ein solches und sogar ein befreites Vorhaben die Anforderungen einhalten, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an Anlagen gestellt werden, weshalb bauaufsichtliche Eingriffsbefugnisse unberührt bleiben. Ein prominentes Beispiel ist die Wahrung des sog. Rücksichtnahmegebots. Die Frage lautet, ob man Prävention will, also eine kritische Prüfung im Vorhinein, oder nur hinterher eine – vor hohen Hürden stehende – Repression. Letzteres klingt doch sehr danach, als würden die Betreiber auf die „normative Kraft des Faktischen“ vertrauen. Leidtragend sind dann vor allem sensible Nutzungen und Einrichtungen im Umfeld.

Laut dpa hat Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer von Deutschen Städtetag dem Vorschlag von Haas schon widersprochen. „Mit dem Motto 'Erst bauen, dann genehmigen' kommen wir nicht schneller voran“, da die meisten Antennen sowie genehmigungsfrei seien und die Betreiber selten gleich nach Baugenehmigung bauen würden. Was meinen Sie, worum es Herrn Haas eigentlich geht? 

RA Dr. Herkner: Da kann man nur Vermutungen anstellen. Auch die Konkurrenz hatte sich schon mal im Sinne von „Bürokratieabbau“ geäußert, u.a. auf sog. Breitbandgipfeln. Das erinnert an den Wahlslogan: „Digitalisierung first. Bedenken second“. Man muss achtgeben, dass hier nicht eigentlich ein „Demokratieabbau“ forciert wird.

Ich will dazu noch den Trend erwähnen, dass die Betreiber den Bauaufsichtsbehörden die Zuständigkeit absprechen, sich mit dem Immissionsschutz zu befassen, weil das exklusive Aufgabe der Bundesnetzagentur sei. Da nach der geltenden 26. Bundesimmissionsschutzverordnung eine – die Sicherheitsabstände ausweisende – sog. Standortbescheinigung, kurz STOB, erst bei Inbetriebnahme der Anlage vorliegen muss, kann es sein, dass der Mast steht, bevor sich eine Fachbehörde mit der Strahlungsproblematik überhaupt befasst hat. Im Grunde wäre das bereits eine Art „Genehmigungsfiktion“.

Trotzdem schulden die Betreiber nach der 26. BImSchV den rechtzeitigen Dialog mit den Kommunen. Um diese anzuhören – heißt es in der sachverständigen Entscheidungshilfe, die 2014 von der Bund/Länder-AG für Immissionsschutz gegeben wurde – stellt ihnen der Betreiber „im Vorfeld alle Unterlagen zur Verfügung, die sie benötigt, um sachgerecht Stellung nehmen zu können und ggf. eigene Standortalternativen vorzuschlagen.“ Um diese Pflicht, die 2013 normiert wurde, zu erfüllen, muss der Betreiber der Gemeinde oder Stadt also Daten liefern, gleich ob nun eine STOB schon beantragt wurde oder nicht.

Es liegt am Verantwortungsbewusstsein der jeweiligen Kommune, dies auch einzufordern und unabhängig prüfen zu lassen, um schonendere Alternativen einzubringen und ggf. sogar Zwang durch Bauleitplanung auszuüben. Dass Vertreter von kommunalen Spitzenverbänden dem Ansinnen irgendwelcher „Fiktionen“ Skepsis entgegenbringen, muss selbstverständlich sein, wenn man es mit der verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungshoheit ernst nimmt. Ja, der Mobilfunk ist ein Gewerbe, mit dem nicht nur die Industrie einen Gewinn erwirtschaftet, sondern dessen Ausübung auch im öffentlichen Interesse liegt. Wenn ich aber lese, dass 5G als das „beste Netz“ angepriesen wird und man dies brauche, damit „jeder Spaß hat ohne Limitierungen“, wird mir als Jurist sehr unwohl.

Mit dem Stopfen von „Funklöchern“ und „Grundversorgung“ hat das nichts mehr zu tun. Man will, wo und wie es den Betreibern gefällt, ein Optimum, „just for fun“ eines Anteils der Verbraucher. Dafür haben wir hier aber keinen rechtsfreien Raum. Für viele Betroffene, denen man einen „durchgewunkenen“ Mast oder Turm buchstäblich vor die Nase setzt und sie damit nicht nur bestrahlt, sondern das Landschafts-/Ortsbild verschandelt und den Verkehrswert mindert, hört der Spaß auf. Sie können am immobilen Mast, anders als beim mobilen Endgerät, keinen „Off-Schalter“ drücken. 

diagnose:funk: Die Kommunen haben sich 2012 über das höchstrichterliche Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig die formelle Beteiligung an den Standortplanungen der Betreiber erstritten. Das Dialogverfahren kann jede Gemeinde von den Betreibern einfordern, egal ob ein Vorhaben genehmigungspflichtig ist oder nicht. Hätte eine Vorgabe des Bundes hierauf einen Einfluss?

RA Dr. Herkner: Genau das habe ich gerade schon angesprochen. Für eine gerechte Abwägung städtebaulicher Belange, auch und vor allem mit Vorsorge für Umwelt und Gesundheit, wurden da die Weichen gestellt. Nehmen Sie nur die Begründung des Bundesrats, also unserer Länderkammer. Demnach soll die Rechtssicherheit schaffende Verpflichtung, Kommunen bei der Standortwahl zu beteiligen, die Vorsorge stärken und auch die Akzeptanz der Mobilfunkinfrastruktur verbessern. Beispielsweise sollen kommunale Mobilfunkkonzepte so zur Anwendung kommen. Dass vorsorgender Einfluss von Kommunen gerechtfertigt ist, auch wenn die sehr hohen Grenzwerte eingehalten werden – Stichwort „athermische Effekte“ – hat sich also im Gesetz und bei Gericht durchgesetzt.

Vorsorgeempfehlungen geben übrigens auch die beiden Bundesoberbehörden der Strahlenschutzkommission und des Bundesamts für Strahlenschutz ab. Also: Um Planungsbefugnisse der Kommune zu achten und Nachbarrechte zu wahren, braucht es weiterhin ein „Hand in Hand“ von Anteilnahme per Immissionsschutzrecht und bauaufsichtlicher Untersuchung in einem ordentlichen Genehmigungsverfahren. 

diagnose:funk: Die Minister Habeck (Wirtschaft) und Wissing (Infrastruktur) sind die ersten Adressaten dieser Forderungen der Mobilfunkindustrie. Was meinen Sie, wie sollten diese darauf reagieren?

RA Dr. Herkner: Diesmal kurze Antwort: Ablehnend! Noch dazu: Laut zitiertem Interview sieht man sich selbst „voll im Plan“. Warum dann vermeintlichen Ballast des Rechts abwerfen? Man wird sich auch in fortschreitend digitaler Gesellschaft noch einen transparenten und fairen Umgang mit Besorgnissen leisten müssen, denn diese sind – wegen auch vom Bundesverwaltungsgericht erkannter Risiken – nicht virtuell, sondern zum Greifen real.

>>> Link zu Kanzlei Herkner: https://www.bsrm.de/

Publikation zum Thema

4. vollständig überarbeitete Auflage, 2021Format: A5Seitenanzahl: 96 Veröffentlicht am: 26.05.2021 Bestellnr.: 104Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk | Titelfoto: stock.adobe.com

Kommunale Handlungsfelder

Mobilfunk: Rechte der Kommunen - Gefahrenminimierung und Vorsorge auf kommunaler Ebene
Autor:
diagnose:funk | Dipl.-Ing. Jörn Gutbier
Inhalt:
Diese Broschüre gibt Auskunft, welche Möglichkeiten Gemeinden haben, in die Aufstellung von Mobilfunksendeanlagen steuernd einzugreifen. Es wird aufgezeigt, was Kommunen neben dem sog. Dialogverfahren mit den Betreibern noch alles tun können, um ihre Bürger:innen mit einem Vorsorge- und Minimierungskonzept vor der weiterhin unkontrolliert zunehmenden Verstrahlung unserer Lebenswelt zu schützen. Darüber hinaus wird auf Argumente eingegangen, die in der Mobilfunkdiskussion eine wichtige Rolle spielen: die Grenzwerte, der fehlende Versicherungsschutz der Betreiber, der Mobilfunkpakt der kommunalen Spitzenverbände, die Strahlungsausbreitung um Sendeanlagen, die Messung und Bewertung der Strahlungsstärke, der Diskurs um Sendeanlagen versus Endgeräte, Kleinzellennetze, alternative Technologien u.a.m. Die Kommune ist immer noch die einzige Ebene, auf der zur Zeit ein wichtiger Teil einer neuen, effektiven Art der Mobilfunkvorsorgepolitik zum Schutz der Menschen und der Umwelt eingeleitet und umgesetzt werden kann.
Artikel veröffentlicht:
27.01.2022
Autor:
diagnose:funk

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