Anhörung im Landtag

Kritik an "Digitaler Bildung" - warum?

Experten-Anhörung im Hessischen Landtag
Im Landtag von Hessen fand am 14.10.2016 eine Anhörung durch die Enquetekommission „Kein Kind zurücklassen – Rahmenbedingungen, Chancen und Zukunft schulischer Bildung in Hessen“, Thema „Digitalisierung“ statt. Auf dieser Anhörung trugen die Erziehungswissenschaftler Dr. Matthias Burchardt (Uni Köln), Prof. Ralph Lankau (FH Offenburg) und der Psychiater Prof. Manfred Spitzer (Universitätsklinik Ulm) ihre Expertisen vor. Sie geben ein Gesamtbild der Gründe, warum Industrie und Bundesregierung das Konzept "Digitale Bildung" durchsetzen wollen.
Hessischer LandtagFoto: © H. Heibel

Über diese fundierten Kritiken an diesen Plänen wird  in den Medien fast nicht berichtet. Im Gegenteil, es wird ein Zerrbild, z.B. von Prof. Manfred Spitzer aufgebaut (Medienverweigerer, ewig Gestriger), um sich mit seinen Positionen nicht auseinandersetzen zu müssen. Keiner der Kritiker spricht sich gegen den Medieneinsatz aus, nur: wann soll er stattfinden, wann schadet er sogar? Das wird analysiert und Alternativen vorgeschlagen.  Das will die Industrie nicht hören, denn sie will ihre Produkte schon in den Kindergärten verkaufen.

Was kritisiert die Erziehungswissenschaft? Mit den 5 Milliarden Euro öffnet  Wissenschaftsministerin Wanka einen Markt, der im Vollausbau ein Volumen von weit über 100 Milliarden Euro haben wird. Analoge und digitale Medien, so die Wissenschaftler, seien selbstverständliche Hilfsmittel, die Lehrer schon immer selbstbestimmt im Unterricht einsetzen. BM Wanka stellt aber die Weichen in eine antihumanistische Richtung. Es geht nicht um das Lernen mit Hilfe von Medien, bei der "Digitalen Bildung" geht es um die Übernahme der Erziehung selbst durch autonom agierende digitale Medien bereits ab den KiTas.

So wie bei der Industrie 4.0 Maschinen die Produk­tion selbständig steuern sollen, sollen Computer und Algorithmen das Erziehungs­ge­sche­hen autonom steuern. Das ist die "Digitale Bildung". Die Schüler sitzen verein­zelt am TabletPC, werden über­wacht und gesteuert von Algorith­men. Ein sprechender Computer gibt Aufgaben und Übungen vor. Es werden vorprogrammierte Eigen­schaften antrai­niert, die industriellen Verwer­tungs- und Konsuminteressen nützen. Kreativität und Querdenken entfällt. Software-Optionen geben einprogrammierte Kompe­tenzen vor. Man lehrt nicht mehr Haltung, sondern verwertbares Verhalten, das ist der Kern der Kompetenzorien­tierung. Digitaler Unterricht bedeutet einen Schritt in Richtung "Schule ohne Lehrer". Lehrer werden zu Lernbegleitern degradiert.

Das, was die IT- Industrie als Zukunft des Lernens propagiert, sind im Kern totalitäre Systeme zur psychischen und psycholo­gischen Manipula­tion und lebenslangen Steuerung von Menschen. Diese Lernkonzepte entspringen neoliberalen und behavioristischen Manipulationskonzepten, und so wundert es nicht, dass die Mehrzahl der Arbeitskreise beim Wankas IT - Gipfel im November 2016 in Saarbrücken von Vertretern der Industrie geleitet werden. Man hat  es nicht mehr nur mit "gekaufter Wissenschaft" zu tun, sondern die Erkenntnisse der pädagogischen Wissenschaften und der Lernpsychologie werden einfach ignoriert. Statt Fachleute aus den pädagogischen Wissenschaften soll die Industrie eins zu eins die Planung der Erziehung übernehmen.  

Wer heute verantwortungsvoll das Erziehungssystem sanieren und ausbauen will, muss deshalb angesichts des besorgniserregenden Leistungsabfalls bei den Basiskompetenzen Rechnen, Schreiben, Lesen und dem Verlust von Sozialkompetenzen wie Empathie, sprachliches Ausdrucksvermögen und vernetztes Denken vor allem in mehr Lehrer, Schulpsychologen - und Sozialarbeiter, Förderpersonal, intakte Schulgebäude, mehr Sport, Theater- und KunstAGs investieren.

Analysen zu den Hintergründen der "Digitalen Bildung":

Vorträge in der Enquete-Kommission im Hessischen Landtag: „Kein Kind zurücklassen – Rahmen­bedingungen, Chancen und Zukunft schulischer Bildung in Hessen“, 14. Oktober 2016:

Dr. Matthias Burchardt: Beantwortung der Fragen zum Thema „Digitalisierung“

Prof. Ralf Lankau:  Digitalisierung und schulische Bildung

Prof. Manfred Spitzer: Risiken und Nebenwirkungen digitaler Informationstechnik

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Fundierte Kritik von Wissenschaftlern zur Digitalisierung der Bildung: Statt Fachleute aus den pädagogischen Wissenschaften soll Industrie die Planung der Erziehung übernehmen.
Artikel veröffentlicht:
07.11.2016
Autor:
diagnose-funk

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