Wir machen aus unseren Kindern Psychopathen

Smartphone­junkies
Über Hirnschäden durch digitale Medien, »notreifende« Smartphone­junkies und Schulen als Lernvereitler. Interview mit Prof. Dr. Gertraud Teuchert-Noodt, geführt von Ralf Wurzbacher in der Tageszeitung junge Welt, 19./20.Januar 2019, Nr.16. Ein Auszug:
Prof. Gertraud Teuchert-NoodtFoto: privat

Junge Welt: Zu der Frage, was der ungezügelte Gebrauch von Smartphones, Tablets und Spielkonsolen in den Köpfen von Heranwachsenden anrichtet, ist von Ihnen folgender Satz überliefert: »Wenn wir den Karren so weiterlaufen lassen, wird das eine ganze Generation von digitalisierten Kindern in die Steinzeit zurückwerfen.« Haben Sie einen Hang zum Alarmismus?

Teuchert Noodt: Wenn in der immer schriller werdenden medialen Zeit nur Pro-Alarm fürs Digitale geschlagen wird – erinnert sei an Christian Lindners »Digital first, Bedenken second « –, und wenn keine andere politische Partei – nicht einmal Die Linke – dagegenhält, vielleicht hört man dann besser mal hin, wenn sogar der Vergleich zwischen künstlicher Intelligenz, KI, und der Atombombe fällt. Tesla-Chef Elon Musk nämlich hält die KI tatsächlich für gefährlicher. Man mag mich mit meiner Formulierung vom »Rückfall in die Steinzeit« spontan in den Reigen der Alarmisten stellen, aber mein Forschungslabor hat über 30 Jahre hinweg viele Fakten zusammengetragen, die das begründen. Zunächst sage ich: Hut ab vor den Steinzeitmenschen, die waren prächtige Kerle. Hätten sie ihren Kindern das Schreiben und Lesen beigebracht, dann wären sie uns im Denken ebenbürtig gewesen. Andererseits, hätten wir Kriegskinder seinerzeit gar nicht in die Schule gehen können, würden wir jetzt wohl auch nur Steine klopfen können. Eben das steht den digitalisierten Kindern bevor. (…)

JW: Sie postulieren, dass es kein digitales Lernen geben kann. Warum bleibt im Kopf nichts hängen, wenn man mit dem Finger über ein Display wischt?

TN: Das trifft den Kern des Problems. Das Gehirn ist ein Konstrukt, das während der Entwicklung nach ganz einfachen Regeln von einem klugen Baumeister, der Selbstorganisation, aufgebaut wird. Der Aufbau startet im Embryo und ist den Reifungssequenzen des gesamten Körpers unterstellt. Jedes Organ und alle Sinne entwickeln im neuronalen Substrat des Gehirns eine »Repräsentation «, eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung. Die nervösen Verbindungen zu den körperlichen Ursprüngen bleiben lebenslang
bestehen, und Aktivitäten garantieren den Dialog zwischen Körper und Hirn. Ähnlich der Blutversor­gung durch Gefäße sind Nervenbahnen unsere Lebensadern. Digitale Medien schneiden das reifende Gehirn des Kindes von diesen Lebensadern ab und lassen nicht zu, dass sich in der Hirnrinde sinnbezogene Repräsentationen anlegen.

JW: Wie also müssten Kinder aufwachsen, um gegen die Gefahren der neuen Techniken gewappnet zu sein?

TN: Das Tablet im Kinderzimmer versetzt das Kind in eine digitale Zwangsjacke. Elementare Bedürfnisse wie krabbeln, laufen, klettern werden unterdrückt. Diese Bedürfnisse dienen dazu, die Sinne zu schärfen, die Muskeln zu stärken, den Geist und die Freude an körperlicher Bewegung zu wecken. Nur wenn die Nervenzellen der einzelnen Hirnfelder sehr viele Kontakte mit sehr vielen anderen Zellen ausbilden, kann ein intelligenter Kopf heranreifen. Dagegen setzt eine Kaskade von Behinderungen ein, wenn Schaltkreise des Großhirns von den Lebensadern durch digitale Spielsachen abgeschnitten sind: Das Sprechenlernen verzögert sich, die Händchen können ihre Fähigkeit nicht entfalten, einen Mal- oder Schreibstift zu halten. Kürzlich erreichte uns eine Alarmmeldung aus London, weil Sechsjährige den Stift nur mit dem Fäustchen halten konnten und die Einschulung gefährdet war.

>>> Das ganze Interview s. Downloads

Publikation zum Thema

Januar 2020Format: DIN A4Seitenanzahl: 100 Veröffentlicht am: 16.03.2020 Bestellnr.: 787, Preis: 9,50 Euro ISBN-10: ISBN 978-3-9820585-1-1Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Smart City, Digitale Bildung, Elektromagnetische Felder

Informationen zu den Folgen der digitalen Transformation unserer Gesellschaft
Autor:
Dr. Wolfgang Baur, Prof. Karl Hecht, Peter Hensinger M.A., Prof. Wilfried Kühling, Prof. Gertraud Teuchert-Noodt, Dipl. Biol. Isabel Wilke, Dr. Ulrich Warnke
Inhalt:
Sammelband der 100 Argumente - ein Handbuch für Eltern, Erzieher und Pädagogen und die Arbeit von Bürgerinitiativen. Die digitale Transformation der Gesellschaft prägt seit ca. 15 Jahren unsere Epoche.Wir sind Zeitzeugen dieses schnellen Wandels und können ihn noch beeinflussen. Die digitale Transformation hat Folgen für die Demokratie, die Umwelt und die Entwicklung des Individuums, seine Gesundheit und Psyche! Dieser Sammelband enthält 15 Artikel, die v.a. in der Zeitschrift umwelt-medizin-gesellschaft erschienen sind. Jeder Artikel informiert kompakt, kurzweilig und wissenschaftlich fundiert über ein Fachgebiet: • Smart City-die Auswirkungen des digitalen Umbaus der Städte • Forschungsergebnisse über digitale Medien und die Gehirnentwicklung bei Kindern • Interviews zur geplanten digitalen Bildung und ihren Risiken • WLAN an Schulen-was man über die Auswirkungen auf das Gedächtnis und Lernen weiß • Der Forschungsstand zu den Risiken der elektromagnetischen Felder des Mobilfunks und 5G • Die Bedeutung der elektromagnetischen Felder für die Evolution • Wissenschaftsdebatte: mit welchen Theorien wird heute versucht, Erkenntnisse über Risiken wegzudiskutieren • Die Ideologie der Digitalisierung. Umfangreiche Quellenangaben zu jedem Artikel geben dem Leser die Möglichkeit, selbst weiter zu recherchieren.
Format: DIN A5Seitenanzahl: 8 Veröffentlicht am: 20.11.2018 Sprache: DeutschHerausgeber: GEW-Hamburg

Behaviorismus als Geschäftsmodell?

Konzepte für eine “Digitale Bildung”, “Smart Schools” und die “Lernfabrik 4.0” sollen ein neues Zeitalter der Erziehung einleiten
Autor:
diagnose:funk | Peter Hensinger
Inhalt:
Die Hamburger Lehrerzeitung der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) hat in der Serie "Digitales Lernen" in 2018 drei Artikel publiziert zu den Plänen und Folgen der Digitalisierung der Kindergärten und Schulen. Hier steht der Beitrag von Peter Hensinger "Smart Schools - Behaviorismus als Geschäftsmodell?" zum Download zur Verfügung: Erziehungsziel ist nicht mehr der im Humboldt‘schen Sinne erzogene Homo politicus, sondern der widerspruchslos funktionierende Homo oeconomicus. Schule hat dagegen einen anderen Auftrag. Bildung ist Haltung, die Fähigkeit, Wissen einzuordnen in ein Wertesystem. Wissen allein, so genannte PC-vermittelte Skills, ohne Ethik, erzeugt Fachidioten, skrupellose Banker, die auf den Hunger wetten, gewissenlose Ingenieure, die Waffensysteme optimieren, Soziologen und Psychologen, die Konditionierungs- und Manipulationssysteme entwerfen, Journalisten, die für RTL2- und die Bildzeitung für die Volksverdummung schreiben.
Format: A4Seitenanzahl: 24 Veröffentlicht am: 22.03.2016 Sprache: Deutsch

Homo politicus - Homo oeconomicus - Homo algorithmicus

BigData und der Wandel der Erziehung zur Konditionierung für den neoliberalen Wachstumswahn
Autor:
Peter Hensinger
Inhalt:
Auf einer Ärztefortbildung an der Uni Frankfurt/Oder analysierte Peter Hensinger in seinem Vortrag "Homo politicus-Homo oeconomicus-Homo algorithmicus. BigData und der Wandel der Erziehung zur Konditionierung für den neoliberalen Wachstumswahn" die ökonomischen Triebkräfte und die psycho-sozialen Auswirkungen der digitalen Bildungsreform.
Artikel veröffentlicht:
23.01.2019
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